Dass der Sommer bis jetzt kaum brauchbares Wetter mit sich brachte, hat für einen Bergsteiger nicht nur Nachteile. Die vielen Schlechtwettereinbrüche lassen auf gute Eisverhältnisse in den höhergelegenen Nordwänden der Alpen hoffen.
Ende Juli habe ich endlich ein verlängertes Wochenende frei. Trotz des nur kurzweiligen Zwischenhochs riskierten wir die Fahrt auf Chamonix.
Als wir beim Refugio Leschaux ankommen, kritisiert die etwas dominante Hüttenwirtin Chloe unsere nicht vorhandene Reservierung. Als dieser Disput beigelegt ist, gibt es Abendessen, welches in Anbetracht der 2×2 Meter großen Küche wirklich vorzüglich ist.
Neben drei Kristallsuchern sind wir die einzigen Gäste auf der bescheidenen Hütte.
Kurz vor dem schlafengehen wollen wir uns bezüglich des Frühstücks mit Chloe absprechen. Da wegen kürzlichen Schneefällen keinerlei Spuren am Gletscher und in der Wand vorhanden sind, und das Mondlicht bei Neumond auch nicht hilfreich ist, scheint es aus unserer Sicht sinnvoll, das Tageslicht abzuwarten. Erneut wird die Gemütslage etwas unbehaglich, da die Wirtin fest davon überzeugt ist, dass es das Beste für und wäre, um Mitternacht zu frühstücken.
Nach heftiger Diskussion beschließen wir, das Frühstück ausfallen zu lassen. Jedoch starten wir trotz unserer Vorahnung schon um 4:00 in die Nacht.
Völlig orientierungslos tappen wir durch das Spaltenlabyrinth des Leschaux Gletschers. Wir stehen vor einer Spalte und schalten unsere Stirnlampen auf die hellste Stufe, doch das Licht verblasst in der Dunkelheit. Wir sehen weder den Grund, noch die andere Spaltenseite. Auf gut Glück versuchen wir dem linken Spaltenrand zu folgen…
Diese Strapazen zehren spürbar an unseren Reserven.
Im ersten Tageslicht erreichen wir schließlich den unüberwindbar anmutenden Bergschrund.
Nach längerem Herumirren im Bergschrund entscheide ich mich schließlich über eine steile Flanke nach oben zu klettern. Mit Erfolg! Dahinter befindet sich kein Hindernis mehr, welches uns von der eigentlichen Route trennt. Ich grabe einen Toten Mann und sichere Hannes nach.
In der Wand sind, abgesehen von der ganzen Spurarbeit, recht brauchbare Verhältnisse, welche uns gut vorankommen lassen.
Extrem Anspruchsvoll ist eine Seillänge, die Hannes führt. Ich hänge an einem „Standplatz“, bestehend aus meinen Eisgeräten, welche ich im losen Schnee zu verankern versuchte, verbunden mit einem nach oben geschlagenen Messerhaken. Hannes hängt 30 meter über mir in senkrechtem Gelände, und versucht im haltlosen Schnee seine Eisgeräte und Steigeisen zu verankern. Zwischen uns stecken drei wenig vertrauenserweckenden Eisschrauben im morschen Mix aus Schnee und Eis. Hannes meistert diese kritischen Meter souverän.
Wie angespannt die Situation tatsächlich war fällt mir auf, als ich zwei der drei Eisschrauben mit minimalem Kraftaufwand horizontal herausziehe.
Nach etwa 7 Stunden in der Wand klettern wir über die Gipfelwechte.
Wir übernachten auf der Boccalata Hütte und fahren Tags darauf nach Hause.
Wir telefonieren noch kurz mit Chloe, der Hüttenwirtin vom Ref. Leschaux. Mit den Worten „you climbed very fast“ gratuliert sie uns und meint, sie würde etwas auf Facebook posten…