20. März 2014
Halb vier Uhr nachmittags. Ich bringe meinen rechten Ski in Position. Noch eine Spitzkehre und ich bin am Materialdepot. Ich halte kurz an und blicke auf.
Die mir so bekannte Eislandschaft zeigt sich von ihrer schönsten Seite. Unzählige bizarre Eisformationen welche in einem dicken Eispanzer verschmelzen. Das obere Drittel getränkt im abendlichen Sonnenlicht.
Eine Linie sticht mir besonders ins Auge. Zwischen der „Eisspur“ und dem „klassischen Renkfall“ hatte sich eine nahezu „perfekte Linie“ gebildet. Schon mehrere Wochen beobachtete ich das heranwachsen dieser wunderschönen Spur. Ich spielte mit einem Gedanken, den ich immer wieder verdrängt hatte…
Eine Seilschaft befindet sich noch am Fuße des klassischen Renkfalles. Diese schnallen gerade ihre Skier an und kommen in meine Richtung hinunter. Mit einem etwas zynisch angehauchten Kommentar bezüglich der Tageszeit schwingen sie an mir vorbei. Schmunzelnd ziehe den linken Ski nach und gehe weiter.
Nun war es endlich soweit. Ideale Temperatur und menschenleer. Die Renkfälle stehen mit scheinbar optimalen Bedingungen vor mir.
Ich wechsle das Schuhwerk und checke das Material. Alles perfekt.
Die letzten Meter zum Einstieg stapfe ich hoch. Mit jedem Schritt entferne ich mich weiter von meinen Skiern, dem Rucksack- all meinen Zweifeln und Ängsten. Was bleibt ist Klarheit.
Im unteren Teil bewege ich mich schnell. Routine, welche ich mir über viele Jahre und hartes Training aufgebaut hatte, macht sich bezahlt.
Viele anspruchsvolle Eislinien bin ich bereits Solo geklettert. Technisch schwierige Säulen mit teils extremer Exponiertheit. Dies ist für mich der nächste Schritt im Soloklettern. Die Besonderheit: Die oberen zwei drittel, sprich etwas mehr als hundert Meter, dieser Linie verlaufen zwischen 80° und 90° ohne Rastposition.
Dass ich körperlich dieser Aufgabe gewachsen bin weiss ich. Der interessante Aspekt ist die Psyche…
Ich bin vermutlich 30m unter dem Ausstieg. Ich hole mit der rechten Hand aus und zack- der Vorderteil der messerscharfen Klinge verschwindet mit einem dumpfen Geräusch in dem in der Sonne etwas aufgeweichten Eis. Perfekt. Mit der linken Hand über die rechte greifen, ausatmen. Indem ich die rechte Hand vom Gerät löse und sie nach unten strecke strömt frisches Blut in meine kalten Finger. Ich entspanne die strapazierte Muskulatur. Das ganze nochmal mit der linken Hand, anblocken, weitersteigen…
Mein Körper arbeitet physisch sowie mental auf Hochtouren und das schon für relativ lange Zeit ohne auch nur die kleinste Ablenkung. Zum ersten mal während des Solokletterns muss ich die Balance zwischen Spannung- sprich Konzentration, und Entspannung- für die Muskulatur, bewusst im Gleichgewicht halten. Was sonst selbstverständlich war kostet mich jetzt zusätzlich immense mentale Ressourcen. Was mich beruhigt: die Gewissheit, dass meine Kraftreserven locker ausreichen würden um diese Linie ein zweites mal zu klettern. Ich klettere weiter…
Am Ausstieg angekommen brauche ich erst etwas Zeit um das ganze zu realisieren. Ich genieße ich die letzten Sonnenstrahlen und seile ab.
Was für ein geiles Erlebnis!
Ich benötigte für diese Linie die fast dreifache Kletterzeit die ich beim klassischen Renkfall (Einstieg- Ausstieg ca. 20min) eine Woche zuvor brauchte.
Danke an Hannes, Fredl und vor allem an Sepp Mallaun für die tollen Bilder!!!